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25. Mai 2019

In Wochen gerechnet ist Linus heute exakt 7 Monate alt geworden.

Aber ich denke, ab einem halben Jahr kann man durchaus in Monaten rechnen, da die Entwicklungssprünge in kurzen Zeiträumen zwar immer noch groß sind, jedoch nicht mehr so extrem wie in den ersten 5 – 6 Monaten. Also wird er erst am 09. Juni 7 Monate alt…

Nun, das erste halbe Jahr ist – egal, wie man nun rechnet – geschafft und ich möchte jetzt gerne meine Gedanken zum Thema „PTBS-Assistenzhund, ein große Erleichterung für den Alltag“ für die ersten Monate, vom Welpen zum Junghund, niederschreiben.

Vorab: Hätte ich es gewusst, hätte ich mich nicht auf dieses Abenteuer eingelassen!

Auch vorab: Habe mich blauäugig eingelassen und hoffe immer noch, dass Linus für mich später eine große Erleichterung im Alltag sein wird. Hoffe. Inständig.

Aber nach diesen ersten Monaten sage ich ganz klar, deutlich und ehrlich: Linus war in dieser Zeit für mich deutlich mehr Belastung als Hilfe! Er hat mich mehr als 100 mal an die Grenzen meiner Belastungsfähigkeit gebracht. Weinanfälle, absolute Kraftlosigkeit, depressive Phasen, Wunsch, alles rückgängig machen zu können – das alles und noch mehr habe ich diesem kleinen Hund zu verdanken.

Ich ticke nicht wie die meisten anderen Menschen. Jedes Bellen lässt mich bis ins tiefste Mark zusammenschrecken, jede hundenormale Triebhaftigkeit erzeugt Ekel, Angst bis hin zu Panikattacken, die körperlichen Auseinandersetzungen (Stichworte: Leinenführigkeit, Zerrspiele…) treiben mich in Hilflosigkeit und Abscheu.

Mit einer PTBS ist das Scannen der Umgebung („Radar“), die dauernde Hocherregung (es könnte ja etwas passieren) etwas Normales. Das geht mir auch nicht anders. Aber mit einem Welpen/Junghund dabei, potenziert sich das Ganze – bis zu dem Punkt, an dem ich entweder aufgebe oder nur noch funktioniere. Aufgeben ist nicht so mein Ding (versagen, ein No-Go!), also bewege ich mich seit Monaten fast nur noch im Funktionsmodus. Funktionieren kann ich ganz hervorragend. Diesen Funktionsmodus kann ich nur noch in kurzen Momenten während meiner Therapiestunden, in meinem „Wattehäuschen“ verlassen und suche dann nach dem winzigen Rest meines Selbst, das sich irgendwo in den Tiefen meiner Seele verkrochen hat. Mein Therapeut hat es auf den Punkt gebracht: Wo ist das Eigene geblieben?

Hinzu kommen Schuld, Selbstvorwürfe und das hellwache, immer präsente Pflichtbewusstsein, das enormen Druck erzeugt.

Trainiere ich oft genug? An manchen Tagen habe ich genug damit zu tun, mich selbst irgendwie durch die Stunden zu kriegen. Woher soll ich dann die Kraft nehmen, einen jungen Hund zu trainieren? Doppelt zu trainieren: Grundfertigkeiten und Assistenzaufgaben…

Mache ich alles Notwendige, damit Linus die richtige Bindung zu mir aufbaut? Schiebe ich ihn zu oft an meinen Partner ab, weil meine Kraft nicht reicht? Bin ich für ihn nicht total langweilig? Mein Partner kann mit ihm zerren, er ist nicht hilflos, wenn er ständig in die Leine springt. Mag Linus mich überhaupt?

Ich bin der Meinung, dass das Thema „Assistenzhunde“ viel mehr in die Öffentlichkeit getragen werden muss. Daher erzähle ich auch ab und zu, dass dieses durchgeknallte Energiebündel, das mir gerade halb den Arm auskugelt, als Assistenzhund ausgebildet wird. Peinlich. Schamvoll. Und: ich bin deswegen mehr als einmal ausgelacht worden. „Was? Der??? Assistenzhund???“ „Das muss ihm aber mal einer sagen… (Gegröhle)“

Einen Assistenzhund auszubilden bedeutet all das, was ich nicht mehr so zur Verfügung habe – daher kann ich derzeit auch nicht mehr meinen geliebten Beruf ausüben:

  • Ständige Verantwortung für andere übernehmen (ich habe viel zu viel mit mir selbst zu tun),
  • Struktur einhalten (mir geht es deutlich besser, wenn ich nach meinem eigenen Tagesrhythmus leben kann)
  • eigene Bedürfnisse zurückstecken (ich habe gerade erst ansatzweise gelernt, meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und sie ein kleinen Teilen ausleben zu dürfen)
  • Geduld haben (mit anderen habe und hatte ich sie immer, mit mir selbst nie – dieser therapeutische Lernprozesse ist derzeit auf Eis gelegt)
  • Stabil sein, sich regulieren können, um dem wirbeligen Hund die nötige Ruhe zu vermitteln (oje…)
  • und vieles mehr

Inmitten dieser Aufzählung gibt es Momente, klitzekleine, in denen mir das Herz aufgeht. Und das ist ein Gefühl, das in mir eher ein stummes Dasein fristet. Wenn Linus mich mit schräggestelltem Kopf aus seinen klugen braunen Augen anschaut, um mich zu verstehen, um mit mir in Verbindung, Kommunikation zu treten. Wenn Linus mit stolz tapsenden Schritten samt geklautem Schuh in sein Hundebettchen läuft – tippeltippel – und dann seine Nase/Schnauze tief in den Schuh steckt, mich dabei anschaut und kleine Teufelchen aus den ausdrucksstarken Augen funkeln. Wenn er sich voller Vertrauen an mich schmiegt – nein, eigentlich lässt er sich mit seinen 27 kg mit einem „Platsch“ auf meine Beine fallen…

Linus liegt auf meinem Schoß und legt seine Pfote über mein Bein

Diese Momente sind es, die mich durchhalten lassen.

 

Linus liegt entspannt in seinem Hundebett und schaut mich an