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Traumatherapie


"Trauma" v. Hartwig HKD (CCBYND) by Flickr
„Trauma“ v. Hartwig HKD (CCBYND) by Flickr

Eine Form des Schreibens, die ich persönlich als wohltuend erlebe (siehe Startseite „Lesbares“ hier), ist das Sammeln, Ordnen und Bewerten von Informationen zu einem Sachthema, das mich aus verschiedenen Gründen interessiert.

Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv – als Laie – mit der Thematik der Traumatherapie beschäftigt. Allgemeine Informationen dazu und zum Thema komplexe Traumatisierung gibt es genug im Netz – dazu möchte ich hier nicht die ich-weiß-nicht-wie-vielste Seite erstellen. Das, was mich interessiert und zum Schreiben verlockt, ist die Subjektivität und Individualität der ganzen Thematik. Es gibt nicht „das“ traumatische Erleben, es existiert nicht „die“ Traumatherapie. Es gibt sicherlich in beiden Bereichen Punkte, die bei den meisten Menschen auftreten bzw. hilfreich sind – aber von Allgemeingültigkeit darf man auf keinen Fall sprechen. Und das ist in meinen Augen das Schwierige, das Herausfordernde und auch das Interessante an diesem ganzen Themenkomplex – für behandelnde Fachleute sicherlich ebenso wie für die betroffenen Menschen (insofern sie in der Lage sind, sich etwas aus der Distanz damit zu beschäftigen).


Leidvolles:

 

"böse Geister" (alle Rechte liegen bei mir)
„böse Geister“ (alle Rechte liegen bei mir)

 

Schon allein die Symptombildung und -ausprägung ist bei betroffenen Menschen höchst unterschiedlich. Bei dem einen sind 90 % der oben im Bild kurz benannten Symptome vorhanden, bei dem anderen vielleicht 50 %, dafür jedoch auch noch ein paar andere, die primär (!) nichts mit der Diagnose „komplexe Traumafolgestörung“ zu tun haben. Das Misstrauen gegenüber anderen Menschen ist oft bei sog. „man-made Traumata“ sehr groß – muss aber nicht sein. Auch Gegenteiliges, nämlich starke Klammertendenzen, können in diesem Zusammenhang auftreten. – Oft übrigens auch beides: wegstoßen UND klammern…

Und genau hier entstehen auch viele leidvolle Schwierigkeiten, mit denen Menschen zu kämpfen haben, die eine adäquate, auf sie passende psychotherapeutische Hilfe suchen:

Die Unspezifität der Symptome einer Traumafolgestörung führt oft dazu, dass sie als solche nicht erkannt wird (sofern ein Trauma als Ursache dem Betroffenen nicht bewusst ist; Alternativdiagnose und Behandlung ist dann oft eine Depression o.a.) oder, da kein diagnostisches Raster passt, wird hier und da ein wenig „herumgedoktert“, meist lange Zeit ohne wirkliche Ergebnisse, bis u.U. der Begriff „austherapiert“ in der Krankenakte auftaucht.

Ganz schwierig ist es auch für viele Menschen mit einer frühen/komplexen Traumafolgestörung einen für sie passenden Therapeuten zu finden, der auch bereit ist, sich auf eine u.U. langwierige und fachlich nicht ganz einfache Unterstützung einzulassen.

"Helpless" v. Dave Lawler (CCBYNCND) by Flickr
„Helpless“ v. Dave Lawler (CCBYNCND) by Flickr

Die Kraft aufzubringen, als Betroffene/r Anträge zur Finanzierung zu stellen und/oder Therapeuten abzutelefonieren, probatorische Sitzungen zu vereinbaren, Entscheidungen über Passung zu fällen, ist für viele leidende Menschen schier unmöglich. Wohl dem, der (noch) über ein soziales Netz (Familie, gute Freunde…) verfügt und sich dort Unterstützung und moralischen Beistand holen kann! Einen Psychotherapeuten zu finden, dem man vertrauen kann – oder man es sich zumindest vorstellen kann, irgendwann zu vertrauen – und der willens und fachlich dazu in der Lage ist, komplex traumatisierte Menschen über eine längere Zeit intensiv zu begleiten, hat einen völlig anderen Stellenwert und ist weit kraftraubender, als beispielsweise einen für sich passenden Hausarzt zu suchen und zu finden. Schließlich geht es um sehr intime Dinge, die oft noch nie ausgesprochen oder auf andere Art und Weise nach außen gedrungen sind und auch nicht nach außen dringen durften…

Dass Psychotherapeuten zum Teil lange Wartelisten führen oder diese Wartelisten bereits geschlossen haben, da eine Wartezeit von 2 Jahren für leidende Menschen unzumutbar ist, ist hinlänglich bekannt. I.d.R. finanzieren Krankenkassen schulenabhängig (s. u.) eine begrenzte Stundenzahl nur bei Psychotherapeuten, die eine entsprechende Ausbildung absolviert haben (psychologische oder ärztliche Psychotherapeuten, bei Privatkassen manchmal auch Heilpraktiker für Psychotherapie), daher sind gerade dort die Wartelisten sehr lang. Sicherlich ist es richtig, die Therapiefinanzierung in die Richtung zu lenken, dass „schwarze Schafe“ und „Quacksalber“, die aus dem Leid traumatisierter Menschen nur Profit erzielen wollen, heraussortiert werden. Dass jedoch nur approbierte Psychotherapeuten, die entweder analytisch, tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch arbeiten, kassenfinanzierte Therapie anbieten können, steht im Gegensatz zu den Bedürfnissen einer adäquaten Traumatherapie, die ich versuche, auf dieser Seite kurz zu umreißen.

Widersprüchlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass anerkannterweise Traumatherapie schulenübergreifend erfolgen sollte… Auch sog. Komplementärtherapien, wie z.B. Musik- oder Kunsttherapie, Reittherapie, Ergotherapie, Körpertherapie etc. sind, eingebettet in eine Traumatherapie, oft wichtige Hilfen. Sie werden bei Erwachsenen i. d. R. nur im stationären Kontext von den Krankenkassen bezahlt. Btw: Der Fonds s. Missbrauch (s. u.) hat die Komplementärtherapien in seinen Leistungskatalog aufgenommen…

"Lonely" v. Bruce Aldridge (CCBYSA) by Flickr
„Lonely“ v. Bruce Aldridge (CCBYSA) by Flickr

Die Langwierigkeit einer Traumatherapie wiederum ist ein finanzielles Problem – im Leistungskatalog der Krankenkassen gibt es keine sog. „Traumatherapie“; hier in Deutschland werden, wie oben bereits erwähnt, Therapien nur nach Schulen (analytisch, tiefenpsychologisch, verhaltenstherapeutisch) bezahlt und dies auch nur, je nach Schule, in einem sehr begrenzten Stundenumfang. Dass Traumatherapie schulenübergreifend stattfindet und zudem sehr lange dauert, ist zwar mittlerweile durchaus bekannt und an-erkannt, die Umsetzung einer adäquaten Finanzierung ist jedoch trotz mehrerer Petitionen bislang noch nicht angegangen worden.

Selbst der Gesetzgeber hat dieses Dilemma erkannt, als er im Mai 2013 den „Fonds s. Missbrauch“ ins Leben rief, um damit den betroffenen Menschen finanzielle Hilfestellung zu bieten, die durch das Netz der anderen entsprechenden Geldgebern (Opferentschädigungsgesetz, Weißer Ring, Krankenkasse etc.) fallen. Das sog. „ergänzende Hilfesystem“ ist jedoch zeitlich begrenzt. Ab Ende April 2016 können keine neuen Anträge mehr gestellt werden. Eine „Eintagsfliege“? Dringend benötigt wird eine dauerhafte Finanzierungsmöglichkeit für langwierige Traumatherapien – dies ist bei Fachleuten und Politikern hinreichend bekannt…

Update 29.02.2016:

Das Bundesfamilienministerium hebt die Antragsfrist beim FSM in Bezug auf familiärem Umfeld auf. Im Link der vollständige Pressetext.

Die vom Runden Tisch […] Ende 2011 geforderten ergänzenden Hilfen müssen mindestens so lange erhalten bleiben, bis die seit mehr als vier Jahren überfällige Reform des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) endlich umgesetzt wird. Sollte die OEG-Reform jedoch in Kraft treten, ohne dass die dringend notwendigen Verbesserungen für Betroffene darin berücksichtigt werden, müssen ergänzende Hilfen für Missbrauchsopfer auch über die OEG-Reform hinaus weiter zur Verfügung gestellt werden!“

Quelle: Bundesfamilienministerium


Hilfreiches:

Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass weder das Leidvolle, noch das Hilfreiche allgemeingültig auf jeden Menschen passt, der mit einer Traumafolgestörung zu kämpfen hat. Eine passende Traumatherapie wird jedoch häufig als Begleitung, Hilfestellung und Unterstützung, leider nicht selten auch als Lebensrettung, empfunden – selbst wenn eine „Heilung“ (ist eine Traumafolgestörung überhaupt eine „Krankheit“? ? die nächste kreative Idee für eine Unterseite… ?) in weiter Ferne liegt oder auch ausgeschlossen scheint.

Was ist es denn nun genau, was eine Traumatherapie als hilfreich erscheinen lässt?

Bei sehr vielen Betroffenen ist das Erleben von echter Präsenz, Transparenz und Wahrhaftigkeit des Therapeuten die Basis, auf der Veränderung möglich sein könnte. Verlässlichkeit und Kontinuität bilden dann die „Handgriffe“ links und rechts des Fundaments, sodass ein – oftmals neues – Gefühl des Sich-sicher-fühlens entstehen kann.

"Protection" v. Yann Legrout (CCBYNCND) by Flickr
„Protection“ v. Yann Legrout (CCBYNCND) by Flickr

Ein Schwerpunkt dessen, was in einer Traumatherapie wirksam sein kann, sind die Wirksamkeitserfahrungen selbst: Selbstwirksamkeitserwartung („ich kann das schaffen“) und Beziehungswirksamkeit („ich handle und habe dadurch Wirkung auf andere“).

Auf der Basis von Sicherheit, Respekt und würdevollem Umgang kann neues Erleben ermöglicht werden: sich selbst positiver und Beziehung als verlässlich und kongruent erleben. Wenn man es als Betroffene/r schafft sich im Schutz der Therapie zuzumuten, können Sichtweisen geändert und Neubewertungen versucht werden. Viele traumatisierte Menschen kennen Auseinandersetzungen auch nur in Form von „gewinnen oder verlieren“, endend in würdelosen Situationen. In der Therapie Auseinandersetzungen zuzulassen und erfahren, dass sie durchaus respektvoll und ohne Gewinner und Verlierer enden können und ohne, dass die Beziehung zerbricht, kann eine wertvolle neue Erfahrung sein.

Als hilfreich wird auch oft die im geschützten Raum erlebte Achtsamkeit empfunden. Die Achtsamkeit sich selbst gegenüber hat oftmals sehr gelitten, die Selbstfürsorge kann weitgehend brach liegen. Bedürfnisse und Emotionen wurden lange zurückgedrängt und sind kaum noch oder einseitig wahrnehmbar, ebenso wie Empfindungen des Körpers. Hier hilft zu Beginn die Achtsamkeit des/der Therapeuten/in – die Achtsamkeit sich selbst gegenüber, die er/sie im Gespräch als Resonanz mitteilen kann, aber auch die Achtsamkeit dem Patienten gegenüber, sodass bspw. kleine Veränderungen der Körperhaltung oder des Gesichtes im Hinblick auf Veränderungen in der Gefühlswelt thematisiert werden können.

"Lonely" v. LisaSkorpion (CCBYND) by Flickr
„Lonely“ v. LisaSkorpion (CCBYND) by Flickr

Das Üben von Entspannungsmöglichkeiten wird auch von vielen Betroffenen als unterstützend wahrgenommen. Oftmals fällt es schwer, sich auf sich selbst einzulassen und in sich hineinzuhorchen. Viele haben bereits die Erfahrung gemacht, dass Entspannung ängstigt, vielleicht weil sie als Kontrollverlust interpretiert wird oder weil eine Entspannung schon einmal die Dissoziationsneigung verstärkt hat. In einer stützenden Traumatherapie wird der/die Betroffene die Möglichkeit haben, mehrere unterschiedliche Möglichkeiten zur Entspannung und damit zur Regulation der eigenen andauernden Hochspannung auszuprobieren oder neue, individuelle zu finden – in kleinen Schritten.

Ein anderer, oftmals wirklich hilfreicher Ansatz, ist das Suchen nach Ausdruck des Erlebten, Ausdruck der eigenen Ressourcen – alles, was nicht gesagt werden kann und/oder darf. Dies ist für viele traumatisierte Menschen sehr schwierig, wenn es in der Therapie nur die Möglichkeit gibt zu verbalisieren. Auch hier sieht man wieder sehr deutlich, wie schulenübergreifend eine Traumatherapie sein sollte: wenn die Sprache versagt, gibt es viele andere, kreative Ausdrucksmöglichkeiten, z.B. mit Klängen, Musik, Gestik, Tanz, Farben, Skulpturen etc. Wenn sie entstanden sind, bieten sie mannigfaltige Anlässe, im Gespräch mit der Therapeutin/dem Therapeuten sprachlichen Ausdruck zu finden und zu üben.


Kreatives:

Traumatherapie ist schulen- und methodenübergreifend und erfordert vom Therapeuten u.a. ein hohes Maß an Flexibilität, „Handwerkszeug“  und Kreativität. Im Folgenden möchte ich daher sehr kurz beispielhaft einige Therapierichtungen im Hinblick auf ihre Relevanz für Techniken in der Traumatherapie vorstellen. Der geneigte Leser wird bei tiefergehendem Interesse im Internet zahlreiche Informationsmöglichkeiten zu den einzelnen Therapierichtungen finden.

Gestalttherapie

Sie zählt zu den erlebnisaktivierenden Psychotherapierichtungen und wird zur humanistischen Psychologie gezählt. Sie ist phänomenologisch, erlebnis- und erfahrungsorientiert und postuliert ein ganzheitliches Weltbild mit der Einheit von Körper, Geist und Seele. Um ca. 1950 gegründet von Fritz und Laura Perls.

"Protection" v. Natalie Manuel (CCBYNCND) by Flickr
„Protection“ v. Natalie Manuel (CCBYNCND) by Flickr

Hier-und-Jetzt-Übungen, Imaginationen, Beachtung der Körpersprache und Psychodrama sind Beispiele für Interventionen, die aus der Gestalttherapie im Rahmen einer Traumatherapie hilfreich sein können. Der Grundsatz der dialogischen Beziehung („Kontakt“ mit zentraler Bedeutung), in der der Therapeut nach Martin Buber in einer Ich-Du-Beziehung mit dem Klienten tritt und die Tatsache, dass im Sinne der Gestalttherapie die Klienten Experten für sich selbst sind, treffen die Grundbedürfnisse vieler traumatisierter Menschen nach Wertschätzung, Annahme, Respekt und Mündigkeit.

Somatic Experiencing (SE)

Entwickelt von Peter Levine in den 1970er Jahren als körperorientierter Ansatz der Traumatherapie. Setzt an den biologischen Mechanismen an: die natürlichen Reaktionen auf lebensbedrohliche Situationen (Kampf, Flucht, Erstarrung) werden nicht vollständig durchlaufen, sodass Restenergien im Nervensystem „eingefroren“ sind und den Körper – zumindest teilweise – im traumatischen Zustand belassen. Ziel ist also, die im Nervensystem gebundenen, zum Zeitpunkt des Traumas erzeugte Stress-Energien abzubauen und dadurch eine Auflösung des Traumazustandes zu erreichen.

"Helpless" v. Carmen E (CCBYNCND) by Flickr
„Helpless“ v. Carmen E (CCBYNCND) by Flickr

Für eine Traumatherapie ist der Fokus, den SE auf die Achtsamkeit der eigenen  Körperwahrnehmung setzt, oft ein sehr hilfreiches Werkzeug. Dies geschieht weitgehend im Gespräch, bevorzugt in gründlichen, langsamen, minimalen Schritten. Dadurch soll eine zielgerichtete Traumabearbeitung ermöglicht werden, die auf das vegetative Nervensystem und dadurch auf den ganzen Körper wirkt. Peter Levine betont, dass es mit SE möglich ist an der Traumafolgestörung zu arbeiten, ohne direkt mit dem Ereignis bzw. mit den Erinnerungen daran zu konfrontieren.

Somatic Experiencing Deutschland

Psychodynamisch Integrative Trauma Therapie (PITT)

Die PITT zählt zu den tiefenpsychologisch-psychodynamischen Kurzzeittherapien. Sie wurde von Luise Reddemann konzipiert und setzt verstärkt an den Ressourcen des Patienten an. Die Dissoziationsfähigkeit wird gezielt und kontrolliert angeregt, um Selbstregulation vor Affektüberflutung zu erzeugen.

Für viele Traumapatienten sind Imaginationen – häufige Stichworte sind „innerer sicherer Ort“, „innere Helfer“, „inneres Team“ etc. – und Distanzierungstechniken – z.B. „innerer Tresor“, „Baumübung“, „Bildschirmtechnik“ etc- – hilfreiche Techniken zur Selbstberuhigung und zur dosierten Annäherung an das Traumamaterial. Auch kreative Ansätze finden sich in der PITT, z.B. das Durchführen von Ritualen, Briefe schreiben und vernichten, Einsatz von Geschichten etc.

Homepage von Luise Reddemann

Körperpsychotherapien

"Protection" v. Maxinne Sentina (CCBYNCND) by Flickr
„Protection“ v. Maxinne Sentina (CCBYNCND) by Flickr

Dies ist keine einheitliche Therapie-„Schule“, es gibt verschiedene Richtungen. Allen jedoch ist gleich, dass der traumatisierte Körper im Mittelpunkt der Therapie steht. Urvater der Körperpsychotherapien ist Wilhelm Reich (Freud-Schüler), der den Körper als Ausdruck unserer selbst sah. Ziel der Körperpsychotherapien ist es, verdrängte Gefühle wieder ins Bewusstsein zu holen, damit sie verarbeitet werden können. Dies erfolgt durch möglichst gezielte sensorische Inputs, also durch Berührungen, die verschiedene Qualitäten haben können: z.B. stützend, entlastend, spiegelnd, mitfühlend etc. Dadurch soll die Möglichkeit einer emotional-körperlichen Abreaktion hervorgerufen werden.

Mit körperlichen Berührungen zu arbeiten, erfordert in einer Traumatherapie immer höchste Wachsamkeit seitens des Therapeuten. Viele Betroffene sind durch ungewollte, grenzüberschreitende Berührungen traumatisiert worden, sodass die Gefahr einer Retraumatisierung in einer Körperpsychotherapie sicherlich sehr hoch ist. Andererseits ermöglichen solche, nicht grenzüberschreitende Berührungen korrigierende Erfahrungen und können tiefe Emotionen wachrufen (die dann aber auch wieder gehändelt werden müssen…).

Kreativtherapien

Hierzu zählen herkömmlicherweise Musik-, Kunst-, Tanz- und Drama-, manchmal auch Poesietherapie. Diese Therapieformen bieten Ausdrucksmöglichkeiten, wenn die Sprache nicht das ausdrücken kann, was einen bewegt oder was einem nicht so bewusst ist, dass eine Verbalisierung direkt möglich ist. Sie zeigen Wege in das eigene Erleben auf, wenn diese blockiert sind. Das in der Kreativtherapie entstandene Produkt oder der Prozess dorthin kann Veränderungen „gefahrlos“, d.h. spielerisch ermöglichen. Beispiel: Jemand erzeugt Klänge auf einer großen Trommel, die für ihn die Gewalt ausdrücken, die ihm angetan wurde. Der/Die Musiktherapeut/in hilft nun, die Musik so zu verändern, dass ein Schutzraum entsteht. „Spielerische“ Veränderung…

"Musiktherapie", alle Rechte bei Ralf Hollnack, kreativtherapie-aachen.de
„Musiktherapie“, alle Rechte bei Ralf Hollnack, kreativtherapie-aachen.de

Kreativtherapie wurden früher hauptsächlich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie angewandt, heutzutage bieten immer mehr Kliniken, vor allem die, die auch Traumafolgestörungen behandeln, Kreativtherapie für Erwachsene an. Kreativtherapie beziehen oft den ganzen Körper mit ein – in der Musiktherapie bspw. ist das Spielen auf Instrumenten immer auch eine höchst sinnliche Angelegenheit; Vibrationen und Klänge können mit dem ganzen Körper wahrgenommen werden; Singen und Atem – eine wunderbare Form der Körperwahrnehmung. In der Kunsttherapie ist das Malen und Gestalten mit den Händen ebenso sensorisch und haptisch ansprechend.

In meinen Augen sind die Methodiken der Kreativtherapien aus einer fundierten Traumatherapie nicht mehr wegzudenken!

Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft ? Kurzinformation zur Musiktherapie

Deutscher Dachverband für Kunst- und Gestaltungstherapie ? allg. Infos zur Kunsttherapie

Deutsche Gesellschaft für Tanztherapie ? Berufsverband der Tanztherapeuten

Sonstige Therapieformen

Auch aus vielen anderen Therapieformen können Techniken, Ansätze für die individuelle Traumatherapie hilfreich sein. Hier noch einige Psychotherapierichtungen, über die das Internet mannigfaltige Informationen bietet: EMDR, tiefenpsychologische Therapie, verhaltenstherapeutische Therapie, imaginative Verfahren, narrative Verfahren etc.


Wege aus dem Leidvollen:

Menschen, die an einer frühen/komplexen Traumafolgestörung leiden, sind in den Grundmauern ihres Seins erschüttert.

Im Sinne der Phänomenologie sind drei wichtige Fundamente von Ich-Stabilität, also die entscheidende Basis des Seins,

  • dass ich mich im eig. Körper wohlfühle (ich habe einen Körper und ich bin ein Körper) und
  • dass ich die Welt grundsätzlich als positiv und zugewandt erleben kann und
  • dass ich mich aufgrund meiner Erfahrungen durch die zahlreichen Interaktionen mit dieser Welt grundsätzlich innerlich sicher und geborgen fühle.

Eine individuelle, fachlich kompetente Traumatherapie, die geprägt ist von Passung zwischen Klient und Therapeut, die ohne zeitlichen und finanziellen Druck in dem Tempo voranschreiten darf, die dem Betroffenen zuträglich ist, kann entscheidend dazu beitragen, dass Ich-Stabilität mit dieser Begleitung zumindest ein Stück weit wiederkehrt und damit die Lebensfreude.

Petition Bedarfsgerechte Psychotherapie der „Initiative Phoenix – Bundesnetzwerk für angemessene Psychotherapie e. V.“


Weiterlesen und Weiterhören

  • Ein Fachbeitrag zum Wirksamkeitserleben in Alltag und Therapie (Dr. Udo Baer und Dr. Gabriele Frick-Baer): Phänomenologie der Wirksamkeit
    (Quelle: http://baer-frick-baer.de/wp-content/uploads/2015/10/Baer-Udo-Frick-Baer-Gabriele-2015-Phänomenologie-der-Wirksamkeit.-In-KLT-Online-Journal.-Beitrag-Nr-8.-www.baer-frick-baer.de_.pdf)
  • Dieser Fachbeitrag von Dr. Madert stellt Empathie und Lebendigkeit des Therapeuten als einer der zentralen Faktoren in einer Traumatherapie, in Abgrenzung von der „weißen Wand“ des Psychoanalytikers, dar. Interessant ist, dass der Autor selbst u.a. eine psychoanalytische Ausbildung hat. Lebendigkeit u. Empathie des Traumatherapeuten
    (Quelle: http://www.drmadert.de/pdf/Trauma%20Spiegelneurone%2019.2.14.pdf)
  • Der Psychiater, Psychotherapeut und Philosoph Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs betont in diesem Beitrag die Wichtigkeit der non-verbalen Kommunikation im Rahmen der Psychotherapie: Non-verbale Kommunikation: Phänomenologische, entwicklungspsychologische und therapeutische Aspekte
    (Quelle: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/zpm/psychatrie/pdf/non_verbal.pdf)
  • Traumatherapie ist heutzutage Körperpsychotherapie, behauptet Dr. Madert und begibt sich damit auf den Spuren von Peter Levine. Konkrete sensorische Inputs vermitteln seiner Ansicht nach somatisch erlebte Sicherheit und helfen, die traumatisch gebundene neurologische Stress-Energie zu entladen. Traumatherapie als Körperpsychotherapie
    (Quelle: http://www.drmadert.de/pdf/Behandlung%20Traumatisierter.pdf)
  • Eine Diplomarbeit von 2005/06 zum Thema Musiktherapie mit traumatisierten Menschen: Trauma und Musiktherapie – Ansätze und Wege in der (musik)therapeutischen Behandlung psychisch traumatisierter Menschen
    (öffnet einen externen Link zur Musiktherapeutischen Umschau Online)
  • Podcast der ARD-Mediathek: Wie kann Musiktherapie helfen?
    (öffnet einen externen Link zur Musiktherapeutischen Umschau Online)
  • Einige Podcasts von hr2 Kultur über den New Yorker Neurologen Oliver Sacks: Oliver Sacks – Neurologe, Geschichtenerzähler, neugieriger Forscher, Medizinkritiker
  • Prof. h. c. Hans-Helmut Decker-Voigt bricht eine Lanze für das Singen als elementares Gut und beklagt die hiesigen kulturellen Fesseln, die dem (öffentlichen) Singen auferlegt sind. In seinem Editorial verweist er auf einen Beitrag von Imke McMurtrie „Singe, sodass ich dich erkenne“ (Quelle: http://www.imke-mcmurtrie.net/literatur/). Inhaltlich bezieht sich diese pdf zwar auf die Ausbildung von Musiktherapeuten, ist aber auch für den Laien interessant zu lesen.